Vom ewigen Streben nach mehr

Wir leben in einer Gesellschaft, die vom Wettbewerb getrieben wird. Gut ist uns nicht mehr gut genug. Wir wollen das Beste und das am Besten in allen Lebensbereichen.

Wir wollen einen Job, der uns fördert und weiterbringt, mit hohem Gehalt, aber bitte ohne Druck und zu vielen Überstunden, denn schließlich brauchen wir auch genug Zeit für unser Privatleben.

Wir wünschen uns einen Partner, die schöne Zweisamkeit, die wir aus Filmen kennen, aber dabei wollen wir auf gar keinen Fall auf unsere Freiheit verzichten, denn schließlich wollen wir uns selbst verwirklichen und niemanden der uns bremst oder für den wir gar zu viele Kompromisse eingehen müssen.

Wir wollen eine Familie, aber nicht jetzt, lieber später, wenn es dann halt passt und wir alles andere schon erlebt und erledigt haben.

Wir wollen so viel und wollen aber dafür möglichst wenig tun, denn es ist ganz wichtig die Work-Life-Balance zu halten, wird uns gepredigt.

Doch wann genau haben wir uns zu solchen Menschen entwickelt? Wann genau ist es aus der Mode gekommen, ein „normales“ leben zu führen, ohne den Drang zu verspüren  immer höher, schneller und weiter als alle anderen zu kommen? Wann entschieden wir uns dazu, dass gut nicht mehr gut genug für uns ist und wir uns bei unserem Bestreben nach mehr, aber auch nicht bereit sind Opfer zu bringen?

Wir sind so sehr damit beschäftigt unsere Bilderbuch-Zukunft zu gestalten, dass wir die Gegenwart vergessen. Wir leben für das was noch kommen soll und schieben alles auf morgen, anstatt stehen zu bleiben und das Heute zu genießen, anstatt durchzuatmen und uns dem zu stellen, was ist und nicht dem was eventuell sein wird. Wir wollen so viel und am Ende bekommen wir gar nichts.

Es gibt kaum mehr Partnerschaften die lange halten und gut funktionieren, denn die Austauschbarkeit ist zu einem Teil unseres Lebens geworden. Wenn es zu schwierig wird, gehen wir einfach weiter, ohne Rücksicht auf Verluste, denn da draußen gibt es noch viele andere Partner, die sicher netter, besser, hübscher, reicher und unkomplizierter sein werden. Wir wollen keine 80% mehr, wir wollen die vollen 100, auch wenn wir selbst so weit von der Perfektion entfernt sind.

Alles ist so schnelllebig geworden und so fürchten wir uns fast einen Augenblick zu verweilen, um uns darüber Gedanken zu machen, was wir alles haben, denn das könnte dazu führen, dass wir zufrieden und dankbar sind. Welch schrecklicher Gedanke, wo wir doch stets dazu getrieben werden, uns aufmerksam mit all dem zu beschäftigen, was wir nicht haben.

Wieso war das früher nicht so? Hatten die Menschen damals weniger Bedürfnisse?  Wurden sie anders erzogen? Genügsamer und leichter zufrieden zu stellen?

Wahrscheinlich nicht. Früher war einfach die Vergleichbarkeit nicht ein wesentlicher Bestandteil unseres Alltags. Früher hatten sie keine weltweite Vernetzung durch Social Media und dadurch verglich sich die 20 jährige Studentin aus einer Kleinstadt nicht mit der Hippen Elite-Studentin, die gerade Bilder ihrer Weltreise, selbstverständlich powered by Mum & Dad, auf Instagram postete. Früher wurden nicht in allen Zeitschriften Bilder von Alleinerziehenden Müttern abgebildet, die neben ihrer 40-Stunden-Woche, der Kindererziehung und dem Haushalt noch Zeit fanden, um trainieren zu gehen, um die perfekte Bikini-Figur vorzuführen. Früher wusste man nicht, was yx bei gleicher Ausbildung und gleichem Einsatz in einem anderen Land verdient und kam sich nicht ungerecht behandelt vor. Früher gab es nicht etliche Single-Apps, die uns dazu animierten nur durch Wischen nach rechts oder links, über eine eventuelle Zukunft mit einem anderen Menschen zu entscheiden. Früher maßte man sich nicht anhand von einem Nickname und 3 Bildern auf solchen Portalen zu entscheiden, ob man diesen Menschen gut oder schlecht findet. Doch heutzutage tun wir das. Und das mit unerbittlicher Penibilität. Lieber wischen wir nach links und sortieren ihn oder sie aus, weil der nächste Kandidat vielleicht einen witzigeres Pseudonym oder die besser ge-photoshopten Bilder hat. Schließlich wollen wir nicht irgendwen, wir wollen den oder die Beste.

In der heutigen Zeit sehen wir auf tausend verschiedene Art und Weisen, wie unser Leben eigentlich aussehen sollte, eben perfekt ohne Abstriche. Unser Liebesleben aus der Feder von Rosamunde Pilcher, unsere Erfolgsstory, die von Steve Jobs in den Schatten stellend und unser Ansehen, dem von Mutter Theresa in nichts nachstehend. Und dabei sollten wir auch verdammt gut aussehen, uns vegan ernähren, regelmäßig meditieren und Yoga machen, weil es gerade so trendy ist.  Und das tägliche Jammern bitte nicht vergessen und bei allem mitreden, ohne auch nur die geringste Ahnung oder gar fundiertes Wissen über richtige Probleme zu haben, die nicht schick genug sind. Statistisch folgt auf Facebook auf 100 Poser-Posts von Menschen, die ihr gar so tolles Leben vorführen,  ein trauriger, der zum Nachdenken anregen soll. Wie oft lesen wir solche Sachen tatsächlich und klicken nicht weiter zu den witzigen Katzenvideos?

Ist es bei der Flut an Selbstdarstellung auf allen Kanälen nicht die zwangsläufige Konsequenz, dass wir glauben, die Einzigen zu sein, die nicht alles bekommen? „The winner takes it all“ und wir wollen doch Gewinner sein, denn was sind wir sonst in unserer schnelllebigen Gesellschaft wert?

Und so schwingen wir uns täglich aufs Neue wie ein Hamster in unser Laufrad, das sich Leben nennt und erkennen dabei leider oft zu spät, dass „mehr“ keine Endlichkeit hat und es nie genug sein wird, wenn wir nicht aussteigen, durchatmen und dankbar für all das sind, was wir bereits haben. Denn Hand aufs Herz, ist das meistens nicht viel mehr, als andere jemals haben werden? Kommt es nicht nur darauf an, mit wem wir uns vergleichen und ob wir dem Schein mehr Bedeutung beimessen, als dem Sein?